Geschwisterliebe auf den zweiten Blick«Setz dich nicht auf deine Schwester!»
Gross ist die Geschwisterliebe oft noch nicht, wenn das zweite Kind geboren wird. Drei Mütter erzählen, was sie bei der Ankunft des zweiten Babys in ihrer Familie erlebt haben.
Grosse Freude, tiefe Eifersucht, Wut auf den neuen Kinderwagen: Wenn ein erstes Geschwisterkind geboren wird, wird dem älteren Kind weniger Aufmerksamkeit als zuvor zuteil. Die «Grossen» reagieren darauf ganz unterschiedlich.
Wir haben unsere Leserinnen mit zwei Kindern gefragt und erfahren: Aufpassen kann man nicht genug. Mal möchte die ältere Schwester der jüngeren die Augen streicheln, weil sie diese so schön findet, mal den Säugling in den Container werfen, weil er schreit.
Mit dem zweiten Kind gibt es für die Eltern doppelt so viel zu tun wie zuvor, aber auch doppelt so viele unvergessliche Erlebnisse. Zum Beispiel wenn der ältere Sohn selbst überzeugt ist, dass er auch ein Baby im Bauch hat, während die Mutter schwanger ist. Lesen Sie selbst.
«Das Baby hat eine Schnabelschnur»
Das erste Kind von Regula aus Aesch war 19 Monate alt, als das zweite auf die Welt kam. Im Sommer 2019 wird für die Familie nochmal alles anders, denn dann wird das dritte Geschwisterkind geboren.
Wie und wann haben Sie dem ersten Kind vom zweiten erzählt?
Da Jonas noch klein war, haben wir ihn nie konkret darüber informiert. Er hat aber schnell gemerkt, dass Mama einen grossen Bauch bekommt und wusste auch schon von anderen, dass in grossen Mama-Bäuchen Babys sind.
Wie hat Jonas reagiert?
Weil er recht klein war, konnte er sich nicht verbal ausdrücken. Spannend war aber zu sehen, dass er, je grösser der Bauch wurde, immer öfter sein «Bäbi» mitnahm, ihm Geschichten vorlas und es fütterte.
Wie war die erste Begegnung?
Eindrücklich! Wir hatten das grosse Glück, dass Jonas seine kleine Schwester von der ersten Begegnung an einfach annahm und so gern hatte, als sei sie schon immer da gewesen.
Welches Problem gab es beim Start zu viert?
Streng war es! Aber Lisa war zum Glück ein recht pflegeleichtes Baby. Was mir anfangs sehr zu schaffen machte war, dass ich mich mit zwei Kindern nur noch in einem kleinen Radius bewegen konnte. Als Jonas ein Säugling war, spazierte ich mehrere Stunden am Tag mit ihm im Tragetuch durch die Gegend. Mit zwei Kindern schaffte ich das nicht mehr. Das vermisse ich sehr.
An welche Situation wird sich die Familie immer erinnern?
Jonas nannte seine Schwester Lisa konsequent «Mia». Das sorgte für einige Verwirrungen bei anderen Leuten.
Was ist beim dritten Kind anders?
Jonas wird 3,5 Jahre und Lisa fast 2 bei der Geburt des dritten Kindes. Sie bekommen schon viel mehr mit als Jonas bei Lisas Geburt. Jonas findet es unglaublich spannend und beide freuen sich riesig auf das Baby. Jonas sagt von sich selbst nun, dass er auch ein Baby im Bauch habe und schnappt alles Mögliche auf, zum Beispiel, dass das Baby im Fruchtwasser ist und über die Nabelschnur versorgt wird, anfangs sagte er «Schnabelschnur».
«Nicht nach den Babyaugen greifen!»
Die Tochter von Claudia* aus Winterthur war erst knapp 15 Monate alt, als das zweite Kind geboren wurde. Durch den geringen Altersabstand der beiden, gab es einige Herausforderungen zu meistern.
Wie und wann wurde dem ersten Kind vom zweiten erzählt?
Mit zunehmendem Bauch haben wir Laura* immer wieder erzählt, dass ein Schwesterchen unterwegs ist. Auch das Buch «Unser Baby» von Ravensburger haben wir uns oft angesehen.
Wie hat Laura reagiert?
Sie hat sehr gelassen reagiert, sie war noch sehr jung und konnte vieles noch nicht einordnen.
Wie war die erste Begegnung?
Laura war mässig interessiert am Baby. Es schien, als hätte sie noch nicht realisieret, dass dieses Baby nun bei uns bleiben würde.
Welche Probleme gab es beim Start zu viert?
Nach meiner Rückkehr aus dem Wochenbett war Laura beleidigt und hat mich etwa eine Woche kaum beachtet. Papa war nun ganz ihr Zentrum. Das hat mich als Mama sehr getroffen, da ich sowieso mit meinen Gefühlen zu kämpfen hatte. Zur Freude über die Geburt des zweiten Kindes kamen gleichzeitig Schuldgefühle, weil ich weniger Zeit für das erste Kind hatte.
Mamas müssten sich zweiteilen können. Wenn das Baby schreit, will auch das erste Kind unbedingt von Mama getragen werden. Beide brauchen viel Nähe. Das machte auch das Stillen schwer, wozu es bekanntlich Ruhe und eine entspannte Mutter braucht. Gleichzeitig turnte Laura aber auf dem Sofa herum oder fiel genau in dem Moment hin, tat sich weh und wollte getröstet werden.
Den Babykopf zu streicheln, musste geübt werden. Bitte nicht an den Haaren ziehen oder sich aufs Baby setzen! Zudem war Laura fasziniert von Lias* Augen und wollte immer mit den Fingern nach ihnen greifen.
Welcher Moment bleibt unvergessen?
Ich fand es süss, dass Laura schon nach wenigen Wochen begann, ihre kleine Schwester vor anderen schaulustigen Kindern zu verteidigen.
«Kann man das Baby in den Container werfen?»
Drei Jahre alt war Linda als Leila auf die Welt kam. Der kleinen Schwester brachte sie viel Liebe und Fürsorge entgegen. Trotzdem sei es für Linda nicht immer einfach gewesen, als Einzelkind entthront zu werden, erinnert sich ihre Mutter Karin aus Zürich.
Wie und wann wurde das erste Kind über das zweite informiert?
Ich habe Linda schon früh erzählt, dass sie ein Geschwisterchen bekommen wird und dieses in meinem Bauch heranwächst. Wir haben mit dem Buch «Ein Kind entsteht» von Lennart Nilsson die einzelnen Stationen zusammen verfolgt.
Wie hat Linda reagiert?
Sie hat sich sehr gefreut und war sehr interessiert. Das oben genannte Buch wurde ihr Lieblingsbuch und in der Spielgruppe hat sie eine Puppe in einen Plastiksack gesteckt und der Leiterin erklärt, dass das die Fruchtblase sei.
Wie war die erste Begegnung?
Sie war sehr neugierig, betrachtete das Baby mit einer gewissen Skepsis, wollte es kurze Zeit im Arm halten und war fast etwas verlegen. Dann wollte sie relativ schnell wieder gehen.
Wie war der Start zu viert?
Die anfängliche Freude wich einer gewissen Eifersucht. Zwiespältige Gefühle der älteren Tochter. Bemutterungsinstinkt und Fürsorge, wechselten mit gewissen Aggressionen, die sich aber nie gegen das Baby, sondern eher gegen den Kinderwagen richteten, der hie und da einen «Gingg» bekam. Wenn Leila weinte kam auch mal eine verbale Äusserung gegen sie. Nach ein paar Wochen fragte mich Linda einmal, ob man Leila nicht in den Container werfen könnte.
Was hätten Sie beim dritten Kind anders gemacht?
Nichts! Viel Liebe und Geduld.
* Name geändert