In vertrauter Umgebung«Die Hausgeburt ist etwas ganz besonderes»

Die meisten Frauen in der Schweiz entbinden im Spital. Aber warum? Hebamme Lior Badertscher hat selbst zwei Kinder zu Hause bekommen. Heute betreut sie Hausgeburten. Warum, das erklärt sie hier.

Was Sie über die Hausgeburt wissen sollten
Früher normal, heute die Ausnahme: die Hausgeburt. © iStock / Getty Images Plus

Über Jahrtausende haben Frauen in aller Welt ihre Babys zu Hause bekommen. Doch was früher normal war, ist heute die Ausnahme. Auch in der Schweiz. 

98,3 Prozent aller entbundenen Frauen brachten 2017 ihre Kinder im Spital zur Welt. Der Anteil der Geburtshäuser ist leicht gewachsen, liegt aber immer noch unter zwei Prozent. Hausgeburten sind nach den Zahlen vom Bundesamt für Statistik eine wirkliche Minderheit. Ganz anders wie zum Beispiel in den Niederlanden, wo 30 Prozent der Mütter zu Hause gebären.

Ist eine Hausgeburt für mich das Richtige?

Diese Frage stellte sich die Hebamme Lior Badertscher selbst vor einigen Jahren. Der Wunsch war da, aber der Entschluss stand nicht sofort fest.

Um die Hemmschwelle zu überwinden, waren für sie besonders diese zwei Aspekte wichtig: «Wir hatten eine kompetente Hebamme, der auch mein Mann vertraut hat. Mit ihr machen wir das, hat er schliesslich gesagt», erzählt Badertscher. «Zudem war die Wohnung nicht weit weg vom Spital, das gab uns Sicherheit.» Beim zweiten Kind sei dann alles viel leichter gewesen: «Klar, wird es eine Hausgeburt!», war das Paar überzeugt.

Die Wahl auf diesen heute so ungewöhnlichen Geburtsort fällt noch nicht einmal Hebammen leicht. «Es gibt viel Sicherheit, die Geburt trotz der Medizinalisierung als einen natürlichen Vorgang zu sehen», sagt Lior Badertscher. Aber trotzdem sei die Hemmschwelle gross. «Dabei passiert auch viel durch die Interventionen im Spital», sagt sie.

Ist die Hausgeburt ein grosses Risiko?

Der amerikanische Gynäkologe Joseph R. Wax wertete 2010 mehrere Studien über Hausgeburten aus. Dabei zeigte sich, dass die Hausgeburt für die Mutter eine sehr gute Wahl ist: weniger Schmerzmittel, Geburtseinleitungen und Dammschnitte. Auch Kaiserschnitt, Infektionen und Frühgeburten sind seltener als in der Klinik. 

Doch es wird auch gewarnt: Das Sterberisiko der Neugeborenen sei dreimal höher als in der Klinik, so die Studie. Vor allem Atemnot des Kindes und missglückte Wiederbelebungsversuche machten bei Hausgeburten Probleme. Trotzdem war das Risiko gering: Nur eins von 1300 Babys stirbt.

Diese Gefahr sieht eine Schweizer Studie nicht: Laut der Nationalfondstudie von 1993 wurden Haus- und Spitalgeburten verglichen. Das Risiko für die Neugeborenen sei gleich hoch, so die Autoren.

Ein gutes Argument für die Hausgeburt sei laut der Studie, dass sich Frauen bei einer Geburt von über zwölf Stunden durch Hebamme, Mann und Freundin besser betreut fühlten als durch die Ärzte in der Klinik.

Gute Gründe also für eine natürliche Geburt in vertrauter und heimischer Atmosphäre. Doch sich als Schwangere diese Hausgeburt zu wünschen, ist nur ein erster Schritt. Es muss von medizinischer Seite auch «erlaubt» werden.

Was ist eine Hausgeburt möglich?

Nicht immer ist eine natürliche Geburt im eigenen Zuhause möglich. Während der Schwangerschaft werden die Risiken bei jeder Frau abgeschätzt. «Ausschlussfaktoren sind zum Beispiel wenn die Plazenta am Muttermund liegt, es mehr als ein Kind ist oder das Kind nicht mit dem Kopf nach unten liegt. Grundsätzlich gilt: gesunde Frau und vermeintlich gesundes Kind», erläutert Badertscher. Es gebe einen ganzen Risikokatalog.

Anders als viele denken, ist eine Hausgeburt in manchen Fällen sogar nach einem vorherigen Kaiserschnitt möglich. «Das hängt davon ab, wie lange er zurückliegt und wieso er nötig war. Solche Hausgeburten werden aber deutlich strenger überwacht», sagt die Hebamme. «Auch Frauen mit Schwangerschaftszucker, welcher nicht insulinpflichtig ist, dürfen daheim entbinden.»

Gibt es keine gesundheitlichen Probleme und verliefen auch frühere Schwangerschaften ohne Komplikationen, spricht nichts gegen eine Hausgeburt. «Das Kind darf aber erst ab drei Wochen vor dem errechneten Termin zu Hause zur Welt kommen. Vorher gilt es als Frühgeburt und gehört in ein Spital zur Geburt.»

Aber selbst bei diesem von vornherein niedrigem Risiko ist nicht garantiert, dass die spontane Geburt in den Privaträumen immer gut klappt. «Manchmal ist eine Verlegung ins Spital notwendig. Der häufigste Verlegungsgrund ist Wunsch nach PDA seitens der Frau», sagt Badertscher.

Die häusliche Geburt vorbereiten

Wenn ein Paar eine Hausgeburt versuchen möchte, sollte so früh wie möglich eine passende freiberufliche Hebamme kontaktiert werden. Schon in der Schwangerschaft ist es wichtig, ein gutes Vertrauensverhältnis mit dieser Fachperson aufzubauen, um sich sicher und gut beraten zu fühlen. Auch der Partner sollte die Hebamme mindestens einmal gesehen haben, im Idealfall gut kennen.

Auf Grundlage der Risiken wird in den letzten Schwangerschaftswochen endgültig entschieden, an welchem Ort das Baby zur Welt kommen soll. Die Kosten, ganz gleich, ob Sie sich für eine Geburt Ihres Kindes im Spital, in einem Geburtshaus oder bei Ihnen zu Hause entscheiden, werden von der Grundversicherung der Krankenkasse übernommen. Zusätzlich verlangen die meisten Hausgeburtshebammen ein Pikettgeld von rund 1000 Franken. Dieses wird von den Krankenkassen nicht übernommen, manchmal beteiligen sich jedoch die Gemeinden an den Kosten.

Für alle Fälle

Trotz aller Freude auf die Hausgeburt sollte auch etwas Wichtiges nicht vergessen werden: die Spitaltasche. So haben die werdende Mutter und der Partner alle notwendigen Dinge zur Hand, wenn eine Verlegung ins Spital ansteht. 

Dann gilt es einiges vorzubereiten. Gemeinsam mit dem Partner sollte entschieden werden, wer bei der Geburt dabei sein soll und ob ältere Geschwisterkinder auch dabei sein dürfen. Dabei könnten sie aber auch die Schmerzen der Mutter und mögliche Komplikationen miterleben. «Ist dies der Fall, ist es wichtig, die Kinder gut auf die Geburt vorzubereiten. Es soll auch eine extra Begleitperson für die Geschwister vor Ort sein. Dies ist nicht der Vater, da er das einmalige Erlebnis bei seiner Frau erleben darf», empfiehlt die Hebamme.

Aber es muss nicht alles so kommen wie geplant. Ein Notfall bei der Entbindung ist nie auszuschliessen. Während der Geburt werden nur wenige Frauen in eine Klinik verlegt. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn der Geburtsverlauf zu langsam sei, so Badertscher. Im Spital können die Wehen besser unterstützt werden. Laut der Schweizer Nationalfondstudie sind dies zwölf Prozent der Frauen, jedoch jede vierte Erstgebärende. Von den Frauen, die bereits Kinder zur Welt gebraucht haben, werden nur vier Prozent verlegt.

Wie unterscheiden sich Spital- und Hausgeburt?

Trotz der Risiken der Hausgeburt überrasche sie vor allem immer wieder eines, so Badertscher: «Die Frauen gebären besser. Sie sind selbstbestimmt und übernehmen zusammen mit dem Partner auch Verantwortung». Als Beleghebamme in einem Zürcher Spital und als freiberufliche Hebamme für Hausgeburten hat sie einen guten Vergleich.

Bei Hausgeburten schätzt sie besonders die ruhige Atmosphäre. «Es sind selbstbestimmte Frauen, die Vertrauen in sich und ihren Körper haben», erzählt sie. «Dadurch bin ich mehr Zuschauerin.»

Etwas anders sei die Atmosphäre bei ihren Belegfrauen in der Klinik. «Dort richte ich mich nach dem Schema im Spital und bin zugleich die Hüterin der Ruhe», sagt Badertscher. «Ich versuche Ruhe in den Raum zu bringen, die Frau nach ihren Bedürfnissen zu unterstützen und anzuleiten.»

Wie sollte Ihr Zuhause für eine Geburt ausgestattet sein?

Damit nicht während der Entbindung unter Schmerzen nach Handtüchern oder einem Eimer gesucht werden muss, sollte beim Thema Hausgeburt frühzeitig mit der Vorbereitung begonnen werden. Dafür bekommt die werdende Familie gut acht Wochen vor dem errechneten Termin eine Liste mit allem, was für die Geburt zu Hause benötigt wird. 

«In der 37. Woche bringe ich eine Box mit den Utensilien zu der Schwangeren nach Hause», erklärt Badertscher. Vor dieser Woche sei ohnehin keine Hausgeburt möglich. Darin enthalten sind unter anderem Binden, Nabelschnurklemmen und Wochenbettuntensilien für die Mutter. «Blutdruckmessgerät, das Pinhard-Stethoskop und die Notfallausrüstung zur Reanimation des Babys habe ich im Auto und bringe ich zur Geburt mit.»

Erfahrungsbericht

So erlebte ein Feuerwehrmann als Geburtshelfer eine ungeplante Hausgeburt in Zürich. Bahnt sich dieser Notfall an, ist es wichtig, so schnell wie möglich Hilfe zu rufen und trotz der Schmerzen Ruhe zu bewahren. Vielleicht bleibt noch Zeit für eine Fahrt in die Klinik. Wenn nicht, erblickt das Kind die Welt in den eigenen vier Wänden.

Zudem gebe es detaillierte Vorbereitungslisten für die werdende Mutter. So ist es zum Beispiel möglich einen Gebärpool für das eigene Wohnzimmer zu mieten. Andere Frauen bevorzugen Bodenmatten, Sitzsäcke oder die normale Badewanne. «Doch diese muss gross sein, eine Standardbadewanne ist zu klein», betont Badertscher. Abdeckplastik für den Boden und das Bett sollte auf keinen Fall fehlen, denn die meisten Geburten finden im Schlaf- oder Wohnzimmer statt.

Ansonsten werde für die Geburt des Kindes nicht viel gebraucht. Die wichtigsten Details, zum Beispiel wie das Bett bezogen wird und was in der Küche vorrätig sein sollte, werden im Voraus mit der Hebamme besprochen. Der Kreativität sind aber keine Grenzen gesetzt: «Erst kürzlich habe ich eine Geburt begleitet wo Ukulele gespielt wurde und alles mit Rosenblättern dekoriert war», erzählt Badertscher.

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